Man kommt kaum noch durch die täglichen Nachrichten, ohne Warnungen über die Dienste des Internets zu bekommen. Internetsucht ist in aller Munde und Menschen machen sich sorgen, dass das virtuelle Leben das reale bedrohen könnte. Es wird von virtuellen Räumen, von der Netzgemeinde und von Shitstürmen berichtet.
Mich erfüllt das mit Sorge. Aber nicht mit der Sorge um ein allmächtiges Netz, das uns alle auf die eine oder andere Weise bedroht. Sorgen macht mir, dass kaum differenziert berichtet wird.
Nehmen wir mal Facebook. Bei den Scilogs bin ich letztens auf einen Bericht gestoßen, der sich kritisch mit dem Einfluss von Facebook beschäftigt. Facebook sei, so war da zu lesen, für einige Jugendliche die Welt, so real wie das wirkliche Leben. Ich kann nicht ausschließen, dass es vereinzelt Jugendliche gibt, die Facebook tatsächlich mit der Welt verwechseln, aber das wäre dann eine ernsthafte Erkrankung. Nehmen wir „die Welt“ lieber als Metapher für „sehr wichtig“. Natürlich ist Facebook für Jugendliche wichtig. Aber das ist nicht neu.
Als es Facebook noch nicht gab, telefonierten Jugendliche oft stundenlang nach Schulschluss. Ich kann mich noch lebhaft an Eltern erinnern, die über die hohen Telefongebühren stöhnten und sich nach einem Zweitanschluss sehnten, weil die Tochter den ganzen Tag mit ihrer besten Freundin am Telefon hing. Damals, als ISDN noch gefragt war und die meisten einen analogen Telefonanschluss hatten.
Heute telefonieren Jugendliche noch immer, wenn sie sich zu zweit austauschen möchten. Aber ein großer Teil der Kommunikation läuft über Facebook. Das ist nicht der Untergang der Welt. Das ist einfach ein zweiter, breiterer Nachrichtenkanal.
Nun hat Facebook tatsächlich Features, die sich von den klassischen Nachrichtenkanälen deutlich unterscheiden. Ein Kommentator auf Scilogs verglich Facebook mit einem virtuellen Wohnzimmer ohne Gardienen. Die Weltöffentlichkeit kann direkt in die privaten Räume der Facebooknutzer hineinsehen. Dieses Bild hat mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun. Ich möchte es mal gedanklich aufteilen. In den Aspekt der Weltöffentlichkeit und den Aspekt des Wohnzimmers.
Weltöffentlichkeit
Dass Facebook ermöglicht, weltweit aufrufbare Nachrichten ins Netz zu stellen, ist eine Tatsache. Aber interessiert sich die Weltöffentlichkeit überhaupt dafür? Wie groß ist die Reichweite solch einer Nachricht? Das hängt sicher von ihrem Inhalt ab. Persönliche Botschaften, dürften kaum über eine überschaubare Leserschaft hinauskommen. Eine persönliche Indiskretion wird sich über Facebook nur wenig weiter verbreiten, als wenn sie als Gerücht auf dem Schulhof die Runde macht. Die allermeisten Facebooknutzer und –nutzerinnen werden sie nicht zu Gesicht bekommen. Anderen dürfte sie nicht interessieren.
Facebook wird wegen der erreichbaren Öffentlichkeit gern als schlimmes Mobbinginstrument beschrieben. Ich habe große Zweifel, ob Facebook tatsächlich Mobbing verschlimmert. Natürlich soll man Mobbing nicht verharmlosen. Wenn Mobbing auf Facebook sichtbar wird, müssen Eltern, Lehrer und andere eingreifen. Aber vielleicht sollten wir hier auch die Chancen sehen. Die Öffentlichkeit erleichtert den Mobbern ihre Aktivität kaum. Das ging auch auf dem Schulhof gut. Sie könnte es aber den Opfern erleichtern, Hilfe zu bekommen.
Kommen wir zu nicht persönlichen Informationen. Solchen, die wir veröffentlichen wollen. Interessant ist hier, ob Facebook wirklich zur Verbreitung von Botschaften geeignet ist. Facebook hat einen Filter, der uns die wichtigsten Nachrichten zeigt und die anderen zurückhält oder zumindest weiter unten darstellt. Was Facebook für wichtig hält, ist dabei von unserem früheren Verhalten abhängig. Neue, überraschende Nachrichten von Menschen, mit denen wir vorher keinen Kontakt hatten, haben eine eher geringe Chance uns zu erreichen. Umgekehrt bedeutet das, dass meine Facebook-Botschaften zu einem wesentlichen Teil die Menschen erreichen, die ich auf anderem Wege auch erreichen könnte.
Facebook macht die Verbreiterung von Informationen an meine Bekannten einfacher. Und es erleichtert es meinen Bekannten, ihre Bekannte auf die Inhalte hinzuweisen. Das ist eine gute Sache. Wunder bewirkt es nicht. Facebook macht mich nicht zu einem Medienstar mit internationaler Reichweite.
Wohnzimmer
Facebook hat so viel mit meinem Wohnzimmer zu tun, wie Telefonieren mit meiner Stimme. Das Bild von Facebook als Wohnzimmer erweckt den Eindruck, Facebook enthülle das private Leben von Menschen. Tatsächlich enthält Facebook aber gerade nur das öffentliche Leben der Personen. Jedes einzelne Detail, das auf Facebook über mich zu finden ist, wurde von mir oder einer mir bekannten Person dort eingestellt. Das gilt auch für Menschen, die sehr viel, scheinbar ihr ganzes Leben veröffentlichen.
Diese Einsicht ist wichtig, wenn man Facebook verstehen möchte und nicht unnötig Panik verbreiten will. Sie zeigt nämlich, dass der bewusste Umgang mit Facebook erlernbar ist. Wenn mehr über eine Person bei Facebook zu erfahren ist, als diese möchte, dann ist das nicht ein Systemfehler von Facebook. Es ist ein Bedienfehler. Irgendjemand hat die Information veröffentlicht.
Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir Kommunikationsplattformen im Internet oder anderswo dämonisieren. Facebook ist nicht böse und es nimmt uns nicht die Handlungsfreiheit. Im Gegenteil: Es schafft Handlungsfreiheiten, mit denen wir alle umzugehen lernen können.
Sicher kann man von den Facebook-Betreibern erwarten, uns das Leben nicht unnötig zu erschweren. Indem sie es ermöglichen, Informationen zu löschen. Indem sie helfen Missbrauch aufzuspüren und zu unterbinden. Aber das sollte nicht auf Kosten der Brauchbarkeit dieses Kommunikationskanals gehen. Es gibt Risiken von öffentlicher Kommunikation, die unvermeidbar sind. Deshalb auf Kommunikationskanäle zu verzichten, wäre dumm.
„Das Netz vergisst nie“
Auf ein Risiko von Kommunikation möchte ich besonders eingehen. Als verteiltes Netzwerk aus Speichermedien hat das Internet die Möglichkeit, jede Art öffentlicher Kommunikation auf lange Zeit abrufbar zu machen. Einmal veröffentlichte Information wird von Suchmaschinen indexiert, von Internet-Archiven gespeichert und von Newsfeeds weitergereicht. Dieses Verhalten des Netzes ist erwünscht. Es macht ein Weltumspannendes Kommunikationssystem erst nutzbar.
Ein unvermeidlicher Nebeneffekt ist, dass der Sender einer Nachricht schnell die Kontrolle über die Nachricht verliert. Wir können eine Veröffentlichung nur begrenzt der Öffentlichkeit entziehen. Was einmal von einem Menschen gelesen und zur Kenntnis genommen wurde, können wir diesem nie wieder entziehen. In Gehirnen lässt sich nichts löschen. Bei Computern ist das etwas anders. Die können im Prinzip vollständig vergessen. Aber wenn die Information erst mal verbreitet ist, wird das sehr aufwendig und ist den Betreibern der Dienste nicht immer zuzumuten.
Die Suchmaschine Google bietet die Möglichkeit an, Inhalte löschen zu lassen. Aber auch sie macht sich nicht die Mühe, alle ihre Backup-Bänder aus dem Keller zu holen und nach der zu löschenden Botschaft abzusuchen. Facebook scheint gelöschte Inhalte zwar nicht mehr anzubieten, sie aber weiterhin leicht abrufbar zu speichern. Da müsste nachgebessert werden. Es ist dem Betreiber durchaus zumutbar, in den aktuellen Datenspeichern zu löschen. Es ist aber nicht möglich, jedem Verbreitungskanal nachzuspüren und von den zu löschenden Daten zu befreien.
Machen wir uns nichts vor: Der Kampf um die Datenhoheit ist unsinnig, wenn wir die Daten zuvor selbst in Umlauf gebracht haben. Wir müssen mit der Datenhygiene früher anfangen. Wir müssen den Zugang zum öffentlichen Medium Internet verantwortungsvoll nutzen. Wir haben es gelernt, die Vorteile zu genießen. Wir müssen lernen, die Risiken zu beherrschen. Das gilt für alle, die an der Kommunikation im Netz teilnehmen und für alle Eltern, die ihren minderjährigen Kindern die Teilnahme ermöglichen.
Vor allem aber sollten wir mit den unsinnigen Metaphern aufhören. Facebook ist kein Wohnzimmer. Facebook ist… Facebook.
test
1<2
test