Digital Native: Eine Rezension zu „Klick mich“

Ich bin wohl kein Digital Native, kein Eingeborener in der digitalen Welt. Meinen ersten Computer kaufte ich mir von Geldgeschenken zur Konfirmation. Das war mitte der Achtziger ein Commodore 64. Auf dieser Maschine lernte ich programmieren in BASIC und Assembler und ich kannte das Betriebssystem nach einigen Jahren sehr gut. Schließlich gab es einen vollständigen Ausdruck des Source-Codes in einem meiner liebsten Bücher: C64 intern. Später in meiner Schulzeit bekam ich dann einen Commodore Amiga (gebraucht im Tausch gegen einen Schachcomputer) und, nach der Schule von meinem ersten Gehalt als Wagenschieber und Kloputzer im Supermarkt, meinen ersten PC, einen Intel 386-SX.

Das Internet lernte ich erst im Physikstudium, so ab 1992 kennen, als ich ein bis zwei Mal die Woche im Serverraum an einer Alpha-Workstation von DEC saß und  ein bisschen mit dem Netscape-Communicator im Netz unterwegs war. Das Netz war damals mehr von Baustellenschildern und blinkenden Laufschriften als von Katzenbildern dominiert.

Soviel zu mir, aber die Überschrift verspricht eine Rezension zu dem Buch „Klick mich“ von Julia Schramm, einer echten Digital Native, die schon als Kind mit dem Internet in Berührung kam und allein dadurch einen anderen Zugang zu diesem Medium haben dürfte als ich.

Über dieses Buch ist schon viel geschrieben worden. Das meiste habe ich nicht gesehen, vieles ignoriert, einiges überflogen. Einige Kritik drehte sich mehr um Julia Schramm als Person oder um die Entscheidung, das Buch nicht kostenlos zum Download anzubieten, als um den Inhalt des Buchs.

Den Inhalt zu beurteilen fällt mir schon deshalb schwer, weil mir unklar ist, welchem Genre das Buch angehört. An Fachbüchern stelle ich einen anderen Anspruch als an Lyrik und Romane. Ist es ein Fachbuch, so möchte ich wissen, ob es einen populärwissenschaftlichen oder einen streng wissenschaftlichen Anspruch hat. Von einem Roman erwarte ich je nach Genre unterschiedliches.

In ihrer Rezension eines anderen Buchs, die in eine selbstkritische Reflexion zu Klick Mich übergeht, nennt die Autorin selbst ihr Buch eine Pseudo-Autobiographie. (Das wäre dann sowas, wie dieses Buch von Bettina Wulff?) Das könnte es in etwa treffen, aber für eine Biographie, selbst mit dem Vorsatz „Pseudo“, fehlte mir das eigentlich biographische, ich erfuhr in dem Buch nur wenig über Julia Schramm als Person oder darüber wie sie aufwuchs, was sie lernte, welche politischen Positionen sie in verschiedenen Phasen ihres Lebens vertrat und heute vertritt.

Statt dessen finden wir in Klick mich einzelne Reflexionen, die jeweils Aspekte des Internets aus verschiedenen Perspektiven beschreiben. Biographisch ist dabei, dass die handelnden Personen, die Autorin selbst in drei verschiedenen Phasen ihres Lebens sind. Jeweils bezeichnet mit ihrem zu der Zeit bevorzugten Nicknamen: Die Schülerin chloe.f.f.w, die Studentin jade, die Politikerin laprintemps.

Ist das Buch also doch ein Sachbuch, das uns in Aspekte des Internets einführen soll? Ich traue dem Buch durchaus zu, den Lesenden hier und da neues über das Internet beizubringen, aber als Anfängerbuch taugt es nichts. Dazu ist die Sprache zu kompliziert. Zu oft verwendet die Autorin Insider-Begriffe. Diese sind zwar in einem Glossar erklärt, aber wenn ich zu oft hätte nachschlagen müssen, hätte das meinen Lesefluss arg gestört. Es ist wohl doch eher ein Insiderbuch.

Nun bin ich offensichtlich kein Digital Native, aber ein Insider bin ich. Ich arbeite mit dem Internet seit dem Studium, ich kenne Internet-Diskussionen von Usenet über Internet-Foren bis Blogs und Twitter. Ich liebe das Internet und kenne die Sprache. Aus dieser Perspektive habe ich das Buch durchaus genossen. Es hat mich unterhalten, zum Schmunzeln gebracht und mir ein paar nützliche Denkanstöße gegeben. Es war sicher nicht das beste Buch, das ich in 2012 gelesen habe, aber ein wertvoller Zeitvertreib.

Als irreführend habe ich den Titel des Buchs und das Cover empfunden. Es geht in diesem Buch fast gar nicht um Exhibitionismus und schon gar nicht um Sex. Das entsprechende Kapitel „Sex geht auch online“ kann ohne großen Verlust überblättert werden. (Im Kindle mit Keyboard geht das mit der Pfeil-Navigation.) Viel spannender sind die Kapitel, in denen die Autorin die Diskrepanz zwischen dem Internet als globalem Medium und dem persönlichen, lokalen Leben der Teilnehmenden aus verschiedenen Blickwinkeln schildert.

Da geht um die vielen Variationen des einen Themas: Das Verhältnis von realer zur virtuellen Welt. Darum, wie die Teenager chloe.f.f.w verschiedenen Rollen in Diskussionsplattformen eingenommen hat und so ausprobieren konnte, wie verschieden die Menschen reagieren, wenn sie glauben, es mit einem Mann statt mit einer Schülerin zu tun zu haben. Darum, wie einfach sie an Themen herankam, die für Jugendliche eher als ungeeignet gelten und was sie daraus gelernt hat. Aber eben stets auch darum, wie das die reale Person hinter dem Nicknamen der virtuellen Welt beeinflusst hat.

Es geht in anderen Kapiteln um das Gefühl, hautnah am Weltgeschehen dabei zu sein und Zeugin einer Revolution sein zu können, zugleich aber um die Frage, wie echt dieses Dabeisein eigentlich ist, wenn sie selbst sicher in einen Internetcafé im Berlin sitzt und keiner echten Gefahr ausgesetzt ist.

Dann geht es auch um Feminismus. Darum, wie die Schülerin lernte, dass Mathematik nichts für Mädchen sei. Darum, dass das Geschlecht im Netz eben doch eine Rolle spielt. „Frauen sind auch im Netz wieder das andere Geschlecht.“ Und es geht um Urheberrecht. „Nutze Kunst und Kultur so, wie du möchtest, dass mit deiner Kunst und Kultur umgegangen wird.“

Fast nichts, was ich in diesem Buch gelesen habe, war mir neu. Deshalb kann ich keine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen, der Preis scheint mir für den Inhalt etwas zu hoch. Der Stil ist gewöhnungsbedürftig, aber wer das Blog der Autorin mag, wird damit zufrieden sein. Wer ein bisschen kurzweiliges zum Thema Internet lesen möchte, wird in diesem Buch finden, was sie oder er sucht. Wer dagegen auf die politische Einstellung der Piraten-Politikerin Julia Schramm gespannt ist, wird höchstens hier und da zwischen den Zeilen etwas finden.

2 Gedanken zu „Digital Native: Eine Rezension zu „Klick mich““

  1. „Ich bin wohl kein Digital Native, [… C64, BASIC, Assembler, 386 SX, Netscape, Internet/1992, …]“

    Mir ist jetzt angesichts der ersten 2 Abschnitte nicht ganz klar, wie Du Dich *nicht* als Digital Native sehen kannst 🙂

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