Ich bin auf Twitter auf eine Internet-Regel gestoßen, die leider sehr wahr ist: „Die Kommentare zu jedem Artikel zum Feminismus rechtfertigt Feminismus.“ Wo immer ein kommentierbarer Artikel von einer Feministin erscheint, sei es in der Onlineausgabe einer Zeitung oder in einem Blog, erscheinen in den Kommentarspalten sexistische Kommentare. Manchmal sind es Beleidigungen, manchmal Argumente, die auf sexistische Stereotype aufbauen.
Formuliert wurde diese Regel von der Journalistin Helen Lewis, die auch gleich den Begriff Lewis’s Law prägte:
As I've just told @alicetiara, the comments on any article about feminism justify feminism. That is Lewis's Law.
— Helen Lewis (@helenlewis) August 9, 2012
Natürlich ist diese Regel kein Naturgesetz wie „Draußen nur Kännchen“ und kein empirisch belegbarer Zusammenhang wie Moore’s Law. Es ist schlicht eine Beobachtung, die ähnlich wie Godwin’s Law, nach dem jede lang genug geführte Internetdebatte irgendwann zu einem Hitlervergleich führt. Man nimmt solche Regeln nicht bierernst, auch wenn sie sich leider all zu oft bestätigen.
Gestoßen bin ich auf Lewis’s Law, durch einen Tweet, der eigentlich gar nichts mehr mit dieser Regel zu tun hat:
Dieses Scheinargument, wenn etwas Kritik hervorruft, wird es schon richtig sein, ist nicht untypisch für Verschwörungstheorien. Deshalb wunderte ich mich nicht, dass Antifeministen, die ja oft an eine Verschwörung des feministischen Establishments glauben, dieses Argument verwenden und kommentierte es lediglich mit dem Satz:
Die eigene Bewegung für wichtig halten, weil sie stark kritisiert wird, ist auch eine schöne Immunisierungsstrategie.
— Quantenwelt (@quantenwelt) January 2, 2015
Erst in einer nachfolgenden Diskussion mit dem Urheber obigen Tweets kam heraus, dass dieser Lewis’s Law verspotten wollte. Allerdings nicht sehr gut, denn mit Lewis’s Law hat sein Satz nichts mehr gemein.
Natürlich überspitzt Lewis mit ihrem Satz die Beobachtung etwas. Es geht ihr nicht um die „ganze Kritik“, es geht ihr um Kommentare. Kommentare enthalten aber eben fast immer meist oft auch Unsachlichkeiten und gerade wenn es um einen feministischen Beitrag geht, bleiben unsachliche und beleidigende sexistische Sprüche im Kommentarbereich selten aus.
Das Wort „justify“ hat eine Reihe von Bedeutungen:
- Kommentare zu Artikeln über Feminismus rechtfertigen Feminismus.
- Kommentare zu Artikeln über Feminismus gleichen Feminismus ab.
Die erste Bedeutung, die ich bei Leo-Online finde, „begründen“, trifft es weniger gut, wenn selbstverständlich gründet sich ein Artikel nicht auf das was hinterher jemand drunter schreibt. Aber solche unsachlichen Kommentare bestätigen leider all zu oft, dass Sexismus noch immer sehr virulent ist. Lewis’s Law ist leider korrekt.
Liebe Antifeministen: Wenn ihr Lewis’s Law widerlegen wollt, versucht einfach ohne sexistische Kommentare auszukommen. Und nein, das ist kein Generalverdacht. Einige von euch argumentieren sachlich.
Die Widerlegung ist ja eigentlich recht einfach:
DEN Feminismus gibt es nicht. Also kann auch solchen Kommentaren auch kaum folgen, dass es Feminismus bzw. jede Spielart des Feminismus geben muss.
Kann man leicht mit einer Übertreibung feststellen:
Wir nehmen einen Feminismus, der davon ausgeht, dass der richtige Weg ist, den Anteil von Männern auf 10% der Weltbevölkerung zu reduzieren. Da werden wir uns wohl einig, dass die diesbezüglichen Mittel nicht damit zu rechtfertigen sind, dass bestimmte Kommentare erfolgen.
Genauso kann aus meiner Sicht aus den Kommentaren selbst kaum hergleitet werden, dass:
– wir eine Rape Culture haben
– es ein Patriarchat gibt
– die Geschlechter sozial konstruiert sind.
– Männer Privilegien haben
etc.
Denn diese Zusammenhänge lassen sich insoweit nicht ohne weitere Umstände dazu, was Anlass der Kommentare war, wie verbreitet die dortigen Gedanken sind etc. aus den Kommentaren herleiten.
Insofern kann damit Feminismus als ganzes nie gerechtfertigt werden. Es ist immer noch auf die interne Logik der jeweiligen Theorien abzustellen.
Vielleicht brauchen wir nur ein paar Idioten weniger, vielleicht gibt es einen gewissen Bodensatz, der immer ausfällig sein wird. Vielleicht tragen übertrieben feindselige feministische Theorien auch zum ton bei und locken Leute an, die sich auf diese teil unberechtigte Art aufregen wollen.
Ich habe doch schon im ersten Absatz geschrieben, worum es geht: Unter Artikeln über Feminismus finden sich fast immer sexistische Kommentare. Feminismus wendet sich (selbstverständlich in verschiedenen Ausprägungen) gegen Sexismus. Deshalb rechtfertigen solche Kommentare den Feminismus. Sie zeigen, dass der Anlass für Feminismus noch immer vorhanden ist.
Nein, es geht nicht um den Ton in Kommentaren, es geht um den Inhalt.
@Joachim
„Feminismus wendet sich (selbstverständlich in verschiedenen Ausprägungen) gegen Sexismus. Deshalb rechtfertigen solche Kommentare den Feminismus.“
Das schließt dann aber ein, dass die jeweilige Form des Feminismus nicht gerechtfertigt ist sondern allenfalls ein Einsetzen für Frauenrechte.
Bestimmte Formen des Feminismus können ungeachtet harscher und sexistischer Kritik selbst falsch oder gar sexistisch sein.
Und das auch nur, wenn man eine Verallgemeinerungsfähigkeit und einen Rückschluss aus den Kommentaren auf die Gesellschaft zulässt.
Es fällt mir zunehmend schwer, dich und eure Bewegung ernst zu nehmen. Ihr blast ein einfaches Twitter-Mem zu einer Art Theorie auf, die ihr dann zu widerlegen versucht. Was bringt euch das?
„Es fällt mir zunehmend schwer, dich und eure Bewegung ernst zu nehmen. Ihr blast ein einfaches Twitter-Mem zu einer Art Theorie auf, die ihr dann zu widerlegen versucht. Was bringt euch das?“
Es liegt eher daran, dass ich es als tatsächliches Argument oder als ernst gemeinte These schon ein recht häufig von Feministinnen gelesen habe.
Insofern wäre vielleicht eher die Frage, warum es obwohl es eher ein Twitter-Mem ist innerhalb des Feminismus so gerne zitiert und als tatsächliche Rechtfertigung genutzt wird.
Immerhin fandest du es wichtig genug, darüber selbst einen Artikel zu schreiben, mit der Aufforderung es zu widerlegen.
Geht man dann darauf ein, dann erklärst du, dass es albern ist, es ernst zu nehmen. Das erscheint mir etwas widersprüchlich
„Erst in einer nachfolgenden Diskussion mit dem Urheber obigen Tweets kam heraus, dass dieser Lewis’s Law verspotten wollte.“
Also das war mein erster Gedanke, daß das eine schöne Verspottung eines Nonsense-Arguments ist, indem man es gegen den Benutzer einsetzt. Ernst nehmen kann man mMn diese Argumentstruktur nie.
„Natürlich überspitzt Lewis mit ihrem Satz die Beobachtung etwas“
Nein, ich halte diesen Satz (wenn man ihn ernst nehmen wollte und nicht nur als comedy-hafte Übertreibung mit einem Augenzwinkern betrachtet) für grundsätzlich falsch.
1. sind unhöfliche und beleidigende Kommentare nur ein Bruchteil der Realität, die unzulässig verallgemeinert werden, sowohl auf gesellschaftliche Zustände als auch auf alle Männer als Täter-Kollektiv.
2. wird hier völlig ausgeblendet, daß der kommentierte Text selber Provokationen enthalten kann, also die üblichen Diskreditierungen von Männern, Patriarchatstheorien und andere hochstrittige Theorien, die feministischen Interessen dienen usw. Das rechtfertigt zwar keine unhöflichen Antworten (gutes Benehmen steht nicht zur Disposition). Dieses „Law“ unterschlägt aber völlig, daß ein Blogbeitrag eine Kommunikation initiiert und im Einzelfall selber aggressiv sein kann.
Es zeigt in meinen Augen nur, wie humorlos die Bewegung der Antifeministen ist, wenn sie das Law nicht auf dem ersten Blick als das erkennt, was es ist: Ein harmloses Twitter-Mem in Anlehnung an Godwin’s Law.
Und nein, es geht noch immer nicht um „unhöfliche und beleidigende Kommentare“ sondern um Sexismus.
Sag‘ mal, lieber Joachim, soll das eine Satire sein? Oder die Darlegung eines selektiven Bewußtseins?
Bei der Weltanschauung des Feminismus gilt das ominöse Gesetz, aber bei einer anderen Anschauung auf einmal nicht mehr?
Ein sehr wichtiger Kritikpunkt ist allerdings zudem, daß du selbst ja Kommentare als sexistisch oder unsachlich einstufst. Jemand, der also der feministischen Ideologie anhängt. Wer sich einmal mit Feministinnen beschäftigt, wird feststellen, daß diese ungefähr so häufig Sexismus feststellen wie Nazis das Wirken des Weltjudentums oder wie Kommunisten das negative Wirken der Bourgeoisie. Feministinnen kann man diesbezüglich durchaus als paranoid bezeichnen.
Ach wie schön, da bestätigt sich gleich Godwin’s Law.
Warum bist du eigentlich Feminist? Kannst du das mal erklären?
Meine Erfahrung sagt mir, daß Männer häufig Feministen werden, weil sie ihre Mütter idealisieren. Sie haben verschiedene seelische Verletzungen seitens der Mutter erfahren. Als Erwachsenen hilft ihnen der Feminismus Frauen zu idealisieren und sich selbst als schuldig zu erleben – so wie es einst dem Kind erging, das sich ebenfalls als schuldig erlebt hat.
Ich finde diesen emotionalen Selbstbetrug jedenfalls immer tragisch.
Oh, ein Lehnstuhlamateurpsycho-Log.
Meine Beobachtung lässt mich folgenden Schluss ziehen: Bei Antifemisten wird das rationale Weltbild – so sie denn normalerweise ein solches haben – ausgehakt und sie wechseln bei gender-Themen in ein mystisch-metaphysisches Weltbild. Damit wird eine normale Diskussion unmöglich, wir reden aneinander vorbei.
qed
Naja, es ist schon etwas komplexer. Aber an diesem Beispiel sieht man schön, wie Strohmänner aufgebaut werden.
Kurze Anmerkung: Ich habe nirgends behauptet, dass sexistische Sprüche unter einem Artikel belegen, dass alles oder auch nur irgendetwas an dem Artikel richtig ist. Widersprüche gegen solch eine Behauptung werde ich hier deshalb nicht freischalten.
Was ist dann deine These?
Würde ja so ungefähr das Folgende überbleiben:
„Es kann zwar alles an dem feministischen Artikel falsch sein, aber der Inhalt der Kritik macht deutlich, dass in der Gesellschaft zumindest zu einem gewissen Teil Ideen verbreitet sind, die gegen so allgemeine Grundlagen übergreifender feministischer Ideen verstoßen, dass man aus diesen Inhalten erkennen kann, dass eine Bewegung notwendig ist, die diese allgemeinen übergreifenden Grundlagen fördert und Gegenmaßnahmen gegen Angriffe auf diese Grundlagen einleitet“?
Meine These steht im Artikel.
Die These ist also offenbar, dass unsachliche und beleidigende Kommentare unter feministischen Artikeln den Feminismus rechtfertigen. Dazu zwei Fragen:
1. Wer entscheidet, was unsachlich und beleidigend ist?
2. Inwiefern ist der Feminismus (in seiner aktuellen Form) geeignet, zukünftig eine Beseitigung/Verringerung derartiger Kommentare zu erreichen?
Woher entnehmen Sie denn diese These?
Ich möchte meinen Kommentar wie folgt korrigieren:
Die These ist also offenbar, dass unsachliche und beleidigende sexistische Kommentare unter feministischen Artikeln den Feminismus rechtfertigen. Dazu zwei Fragen:
1. Wer entscheidet, was unsachlich, beleidigend und sexistisch ist?
2. Inwiefern ist der Feminismus (in seiner aktuellen Form) geeignet, zukünftig eine Beseitigung/Verringerung derartiger Kommentare zu erreichen?
Bestreiten Sie ernsthaft, dass sich diese These aus Ihrem Blogpost ergibt? Falls nein, wie sind Ihre Antworten auf die Fragen?
Ich habe doch im ersten Absatz klar geschrieben, dass solche Kommentare nicht unsachlich und beleidigend sein müssen.
ad 1) Was Sexismus ist, ist ziemlich klar definiert. Klar gibt es Zweifelsfälle, aber das ist bei solch einem eher launischen Satz recht unerheblich.
ad 2) Es ist ein gemeinsames Ziel aller Feministinnen, Sexismus zu bekämpfen. Wenn es keinen Sexismus gäbe, gäbe es auch keine sexistischen Kommentare.
„Ich habe doch im ersten Absatz klar geschrieben, dass solche Kommentare nicht unsachlich und beleidigend sein müssen.“
Die dortige Formulierung finde ich keineswegs „klar“, und Ihre weiteren Ausführungen „gerade wenn es um einen feministischen Beitrag geht, bleiben unsachliche und beleidigende sexistische Sprüche im Kommentarbereich selten aus“ und „solche unsachlichen Kommentare bestätigen leider all zu oft, dass Sexismus noch immer sehr virulent ist“ machen es nicht unbedingt klarer.
Aber gut, darum geht es ja gar nicht. Thema sind also ganz allgemein „sexistische Kommentare“. Und Ihre Antworten finde ich in etwa so überzeugend wie die Argumentation, Feminismus sei selbstverständlich gut, denn er werde ja als „Kampf für Gleichberechtigung“ – mithin als gute Sache – definiert.
@Joachim – Dieser Kommentar war der erste von drei Teilen (800 Zeichen sind recht wenig für Argumentationen) meiner Stellungnahme zu Ihrem Kommentar vom 12.01., 10:39 Uhr. Hängen die anderen beiden Teile noch irgendwo oder wurde deren Veröffentlichung abgelehnt?
Ich meine die Limitierung der Kommentare auf 800 Zeichen durchaus ernst. Die anderen beiden Kommentare gehen deutlich über die Frage, was mit Lewis’s Law gemeint ist, hinaus. Im Rahmen dieser Fragestellung macht es keinen Sinn, uns über unsere unterschiedliche Wahrnehmung von Feminismus im allgemeinen auszutauschen oder theoretisch darüber zu philosophieren, in welchen Fällen Sexismus eindeutig ist und wann nicht.
Dass meine Ausführung nicht jeden überzeugt, habe ich erwartet. Aber wovon eigentlich. Was meinst du denn (darf ich du sagen?) was frau Lewis mit dem Satz meinte? Was habe ich missverstanden?
Ich sehe das Problem weniger in der Frage, was Frau Lewis mit dem Satz meinte (das halte ich für recht offensichtlich), sondern darin, inwieweit ihre Behauptung zutrifft. Ich habe versucht zu begründen, weshalb dies meiner Ansicht nach nicht der Fall ist. Darüber willst du allerdings offenbar nicht diskutieren.
Da es dein Blog ist, habe ich dies – ebenso wie deine Entscheidung, Kommentare nicht zu veröffentlichen – zu akzeptieren. Ich persönlich halte allerdings die Begrenzung der Diskussion auf die Frage, was mit Lewis‘ Law gemeint ist, nicht für sinnvoll, zudem ist mir meine Zeit zu schade, um Kommentare zu schreiben, die dann möglicherweise doch nicht freigegeben werden, deshalb sehe ich von weiteren Beiträgen ab.
Hm, ich glaube nicht, das wir uns einig sind, was Frau Lewis meint, denn ich sehe in ihrem Satz keine Behauptung, die sich überprüfen ließe oder gar als wissenschaftliche Hypothese überprüfbar sein muss, sondern schlicht eine Schilderung ihrer eigenen Wahrnehmung.
Wenn aber klar geworden ist, dass sich Lewis’s Law qualitativ von der Verballhornung „Weil Feminismus kritisiert wird ist er berechtigt.“ unterscheidet, dann habe ich alles erreicht, was ich wollte.
Tatsächlich habe ich weder Zeit noch Lust, eine Studie zu machen um nachzuweisen, wie viele feministische Artikel tatsächlich sexistisch kommentiert werden.
„Hm, ich glaube nicht, das wir uns einig sind, was Frau Lewis meint, denn ich sehe in ihrem Satz keine Behauptung, die sich überprüfen ließe […], sondern schlicht eine Schilderung ihrer eigenen Wahrnehmung.“
Dann sind wir uns tatsächlich nicht einig, denn ich sehe die Aussage, dass die (Art und Weise der) Kommentare unter allen Artikeln über Feminismus den Feminismus rechtfertigen, durchaus als eine der Überprüfung zugängliche These an. Anderenfalls macht i. Ü. weder die Bezeichnung „Law“ noch deine Aussage „Lewis’s Law ist leider korrekt“ Sinn.
Aber gut, du hast ja gegenüber Christian und mir deutlich gemacht, nicht darüber diskutieren zu wollen.
Nochmal: Ich sehe Lewis’s Law analog zu Godwin’s Law als eine scherzhaft als Gesetz formulierte Beobachtung. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe eine ähnliche Beobachtung gemacht und deshalb geschrieben “Lewis’s Law ist leider korrekt”. Wenn du nicht regelmäßig sexistische Kommentare unter feministischen Artikeln beobachtest, muss ich dir das glauben. Ich sehe nicht, wie wir da durch Diskussion auf einen Nenner kommen sollen.
Ja, unsere Einschätzungen werden unterschiedlich sein, aber das könnten wir nur am Beispiel diskutieren.
Nein, ein sexistischer Kommentar unter einem Artikel macht diesen nicht wahr. Das behaupte ich auch nicht.
Okay, gegen meine Vorsätze nochmal ein Kommentar von mir:
„Wenn du nicht regelmäßig sexistische Kommentare unter feministischen Artikeln beobachtest…“
Wo habe ich behauptet, dass unter feministischen Artikeln nicht regelmäßig sexistische Kommentare auftreten? Selbstverständlich ist das der Fall (allerdings sind m.E. bei weitem nicht alle Kommentare sexistisch, die feministischerseits so eingestuft werden).
Lewis behauptet aber nicht nur die Existenz sexistischer Kommentare, sondern dass diese den Feminismus rechtfertigen würden. Und (nur) DAS bezweifle ich, weil ich den Feminismus in seiner jetzigen Form nicht für geeignet halte, nachhaltig positiv auf sexistische Einstellungen einzuwirken, und Feminismus auch wohl kaum Einfluss auf Trollkommentare gewinnen wird.
@Joachim: Du schriebst auf die Aussage:
„Die ganze Kritik am Antifeminismus bestätigt nur, wie wichtig und richtig dieser ist.“
Deine Antwort:
„Die eigene Bewegung für wichtig halten, weil sie stark kritisiert wird, ist auch eine schöne Immunisierungsstrategie.“
Ich kann dieser Einwertung nur folgen. Warum aber trifft Deine Einwertung nicht genauso auf die Aussage zu:
„Die Kommentare zu einem beliebigen Artikel über Feminismus rechtfertigen Feminismus.“
(Oftmals gibt es kritische Kommentare zu Artikeln über Feminismus. Leider – da wir hier im Internet sind – auch unsachliche, zotige und nicht stubenreine. Man könnte also ohne größeren Verlust von Allgemeinheit oben hineinlesen: „Die [kritischen] Kommentare (…).“ Wenn man das tut: Gilt dann Deine Wertung nicht auch für Aussage 2?
Das habe ich versucht im Artikel zu erklären:
Ich halte Lewis’s Law für eine Referenz auf Godwin’s Law: „As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.“
Beide „Gesetze“ sind keine sozialwissenschaftlichen Thesen, sondern Beschreibungen von Beobachtungen:
Godwin beobachtete viele Nazivergleiche in Online-Diskussionen.
Lewis beobachtet viele sexistische Kommentare unter feministischen Artikeln. Sexistische Kommentare belegen, dass es Sexismus gibt. Feminismus richtet sich gegen Sexismus, seine Notwendigkeit wird durch sichtbaren Sexismus begründet. (Voraussetzung ist natürlich, dass man Sexismus ablehnt.)
Es geht Lewis nicht um Kritik unter den Artikeln sondern um den Sexismus.
Okay, ich kann Dir folgen.
Allerdings schreibt sie nicht, welche Art von Kommentaren (ihrer Ansicht nach) die Existenz von Feminismus rechtfertigt. Jedenfalls nicht im angedruckten Zitat. Die Ergänzungen von Lewis‘ Law in eckigen Klammern sind von mir ‚[kritischen]‘ bzw. von Dir ‚[sexistischen]‘.
Es existiert die Möglichkeit, dass Lewis unter ‚Sexismus‘ etwas anderes versteht als Du oder ich. Ich habe es oft erlebt, dass Kommentare als ’sexistische [nicht stubenreiner Begriff]‘ eingewertet wurden, die ich sowohl für stichhaltig als auch höflich dargebracht hielt.
So ähnlich wie mit ‚Gerechtigkeit‘. Ich habe noch keine Demo ‚Gegen Gerechtigkeit‘ gesehen, aber unterschiedliche Demonstranten hatten dazu oft gegesätzliche Auffassungen.
Ja, selbstverständlich könnte es sogar sein, dass Lewis eine ganze Menge Dinge vertritt oder fordert, denen ich mich nicht anschließen könnte.
Ich definiere Sexismus nicht als „nicht stubenrein“ sondern als „Menschen aufgrund ihres Geschlechts abwerten“. Ein Kommentar kann durchaus stichhaltig und höflich dargebracht werden und dennoch abwertend sein.
Aber selbstverständlich kann es unterschiedliche Auffassungen geben.
Übrigens könnte in eckigen Klammern ja auch [bestätigenden] stehen. Dann würde das Zitat bedeuten, dass es so viel Zuspruch gibt, dass sich daraus auf einen gesellschaftlichen Bedarf an Feminismus schließen lässt.
> Übrigens könnte in eckigen Klammern ja auch [bestätigenden] stehen.
Richtig. Ich folge Dir auch in Deiner Argumentation aus der ersten Antwort.
Allerdings mußte ich vor einigen Jahren (ungläubig) staunend erfahren, dass der moderne Feminismus praktisch nichts mehr mit Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun hat (eine nicht-Gleichberechtigung wäre ja nach Deiner Auffassung sexistisch), sondern dass es um Privilegierung von als-unterdrückt-wahrgenommenen politischer Klassen geht (‚Oppression Sweepstakes‘), unter völliger Ablehnung rationaler Argumentation und Kritik.
Siehe z.B. ‚Professing Feminism‘, 2nd ed. 2003, der beiden Feministinnen(!) Daphne Patai und Noretta Koertge.
Aus diesen Gründen vermute ich in Lewis‘ Law genau die Immunisierung, die Du Aussage 1 nmA zu Recht vorwirfs
Vielleicht sollte ich nochmal klarstellen, dass ich noch immer an meine ursprüngliche Interpretation glaube. Die anderen mit [kritischen] und [bestätigenden] stimmen nicht mit meinen Beobachtungen überein.
Ich kenne das von dir genannte Buch nicht, aber wenn ich es richtig sehe, kritisieren dort zwei Feministinnen eine Strömung innerhalb des Feminismus. Das ist doch ein eindeutiges Zeichen, dass diese Bewegung durchaus kritikfähig ist. Dass es sogar interne Kritik gibt.
Es gibt viele Bereiche, in denen sich Feministinnen nicht einig sind. Findest du wirklich, dass das ein schlechtes Zeichen ist? Könnte das nicht ein Zeichen sein, dass dort Menschen ernsthaft um gute Ansätze ringen?
> Könnte das nicht ein Zeichen sein, dass dort Menschen ernsthaft um gute Ansätze ringen?
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit ‚Gender Studies‘. Ursprünglich war mein Anliegen, ‚echte‘ Wissenschaft von Pseudowissenschaft (Homöopathie?) unterscheiden zu können. Dabei stößt man dann auf frz. Postmodernismus (z.B. über Sokal) und dann auf ‚Gender Studies‘. Diese sind als ‚akademischer Arm der Frauenbewegung‘ (praktisch) ausschließlich politisch motiviert, nicht objektiv (dh. wissenschaftlich).
Ich kann Dir die Lektüre von ‚Professing Feminism‘ nur ans Herz legen. Mir ist in diesem ‚Diskurs‘ einiges klarer geworden dadurch. Insbesondere, dass der moderne Feminismus nichts mehr mit ‚gleiche Rechte, gleiche Pflichten‘ zu tun hat. Feminismus heute ist Sexismus.
Ich finde deine Argumentation jetzt etwas widersprüchlich. Einerseits legst du mir die Lektüre eine Buchs von modernen Feministinnen ans Herz, andererseits bezeichnest du den modernen Feminismus pauschal als sexistisch.
Mit Gender Studies beschäftige ich mich auch. Ich habe da einen etwas anderen Eindruck. Vielleicht solltest du dir mal vor Augen führen, dass Sozialwissenschaften andere Fragestellungen und damit auch andere Herangehensweisen haben als Naturwissenschaften. Aber das geht jetzt über das Thema hier deutlich hinaus. Könnte ich mal separat drüber bloggen.
> Ich finde deine Argumentation jetzt etwas widersprüchlich.
Koertge und Patai bezeichnen sich selbst als Feministinnen. Im aktuell herrschenden Gender Studies Mainstream sind sie Außenseiter, da sie das Eintauschen kritischer, (geistes-)wissenschaftlicher Methodik gegen sektenhafte Verhaltensmuster kritisieren. Jemand im Mainstream (z.B. Ilse Lenz) würde die beiden nicht als ‚zugehörig‘ bezeichnen.
Wenn ‚Sexismus‘ für Dich die Abwertung von Menschen allein aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit ist, wirst Du im heutigen Feminismus und in ‚Gender Studies‘ sehr viel davon finden.
> Vielleicht solltest du dir mal vor Augen führen, dass Sozialwissenschaften andere Fragestellungen und damit auch andere Herangehensweisen haben als Naturwissenschaften.
Grundsätzlich zielt aber sämtliche wissenschaftliche Methodik schon auf überprüfbare, intersubjektive Erkenntnisse, oder ist das für Sozialwissenschaftler anders? Das käme mir zu sehr wie ’special pleading‘ vor.
Ein wesentliches Problem, was ich hier sehe ist, dass seit den Postmodernisten ‚Wahrheit‘ (erst recht überraschende oder unangenehme) nicht (mehr) existieren soll und die Gültigkeit einer theoretischen Beschreibung von ihrer politischen Zielsetzung abhängt. Dieses Prinzip durchdringt die Gender Studies, wie sie aktuell gelehrt werden, vollständig. Teleologische Argumente können aber nmA nie wiss. sein.