Das Adenauerzitat in der Überschrift scheint auf dem ersten Blick falsch zu sein. Schon seit ich mich erinnern kann, uns das ist eine ganze Weile, sorgen sich Menschen über rückläufige Geburtenraten in Deutschland. So lange wird auch schon diskutiert, wie die Geburtenraten durch Anreize erhöht werden können. Zuletzt gab es von Teilen der Union einen Vorstoß, eine Art Strafgeld, eine Sonderabgabe, für Kinderlose einzuführen. Zwei Kinder als staatliche Norm, wer darunter bleibt muss zahlen.
Dass man das auch anders sehen kann, nämlich als eine solidarische Zahlung mit der Kinderlose nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip den Familien mit Kindern unter die Arme greifen, ist mir klar. Aber zum einen gibt es diese Form der Solidarität schon. Durch Familienversicherung in der Krankenkasse, durch Steuerfreibeträge für Familien und durch Kindergeld, Erziehungsgeld, Elterngeld. Zum anderen ist es falsch, solche Zahlung wie eine Gebühr für falsche Lebensplanung aussehen zu lassen.
„Kinder kriegen die Leute sowieso“ könnte man besser als ein Ziel formulieren. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Leute Kinder sowieso bekommen. In der Menschen mit und ohne Kinder sich nicht als Konkurrenz sehen, sondern die Lebensplanung der jeweils anderen akzeptieren. Der Reproduktionsmediziner Elmar Breitbach bezeichnet Kinderkriegen als ein zutiefst egoistisches Projekt zweier Menschen, welches zufällig auch wirtschaftlich und gesellschaftlich von Vorteil ist. Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass er das nicht als einen Vorwurf sieht. So sollte es sein. Kinder kriegen, nicht weil die Gesellschaft das fördert oder das fordert, sondern weil das Paar dazu bereit ist und gerne Kinder möchte.
Familienpolitik darf deshalb meines Erachtens nicht diskriminieren. Es gibt viele Gründe, keine Kinder zu haben. Viele Menschen sind ungewollt kinderlos, für die ist alles was wie Strafabgabe aussieht ein Schlag ins Gesicht. Aber auch Menschen, die sich aus freien Stücken gegen Kinder entscheiden, dürfen nicht verurteilt werden. Auch sie leisten oft wertvolles für die Gesellschaft.
Ich habe ganz bewusst Gesellschaft geschrieben und nicht Staat. Denn viele von uns können ganz ohne nach staatlicher Förderung zu rufen etwas für gute Familienpolitik tun. Personalverantwortliche müssen darauf achten, die Familiensituation von Bewerberinnen und Bewerbern nicht als Ausfallrisiko zu sehen. In Auswahlgremien beteiligte können die anderen auf mögliche Diskriminierung hinweisen. Chefs sollten versuchen, ihren Mitarbeitern die Vereinbarung von Arbeit und Familie leicht zu machen. Nachbarn sollten Verständnis für Kinder und deren Bedürfnis zu spielen nehmen. Auch wenn’s mal etwas lauter ist.
Aber das Problem in der angestoßenen Debatte sind natürlich die Renten. Ist es denn möglich bei eventuell trotz Kinderfreundlichkeit niedrig bleibender Geburtenrate die Versorgung älterer Mitmenschen zu ermöglichen? Selbst dann, wenn die Lebenserwartung immer höher wird? Ich bin da sehr zuversichtlich. Man muss nur mal auf die Realwirtschaft sehen.
In der Realwirtschaft geht es nicht um Geld sondern um Waren. Die Frage ist dann: Schaffen wir es mit einem sinkenden Anteil von Menschen im erwerbsfähigen Alter genügend Güter zur Versorgung aller zu gewährleisten? Dabei geht es natürlich nicht um das nackte Überleben, sondern um einen angemessenen Anteil an der Gesamtproduktion für Menschen mit Rentenansprüchen.
In Anbetracht der hohen Produktivität ist die Antwort vermutlich positiv. Es sollte auch bei sinkender Geburtenrate und wachsender Lebenserwartung möglich sein, langfristig die Renten zu sichern. Eine Teil des Problems kann man abpuffern, indem man mehr Menschen in Arbeit bringt, durch Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Einen Teil, indem man Menschen die sich unter gegebenen Umständen für Familie und gegen Erwerbsarbeit entscheiden, ermöglicht beides unter einen Hut zu bringen. Einen weiteren Teil kann man durch wachsende Produktivität abfedern, also indem das selbe Volumen von Produkten bei geringerem Einsatz menschlicher Arbeitskraft entsteht.
Das Rentensystem als eine Geldzahlung für Menschen, die ihr Erwerbsleben abgeschlossen haben und sich zur Ruhe setzen, spielt in erster Linie die Rolle eines Verteilungsschlüssels. Wem steht welcher Anteil am Volkseinkommen zu? Wenn genügend Lebensmittel und Luxuswaren zur Verpflegung stehen, geht es bei der Rente um einen gerechten Verteilungsschlüssel. Gerechtigkeit ist immer sehr subjektiv. Wer durch Einführung eines neuen Schlüssels weniger bekommt, fühlt sich ungerecht behandelt. Wer mehr bekommt, hält das selten für ein Geschenk und sieht die Gerechtigkeit dahinter.
Sicher wird das Rentensystem sich verändern. Die Lebenskonzepte von heute unterscheiden sich stark von denen aus den fünfziger Jahren, in denen das Rentensystem entstand. Deshalb glaube ich nicht, dass es ewig Bestand haben wird. Aber ich glaube nicht, dass die niedrige Geburtenrate das Problem ist. Die Bevölkerungsdichte ist groß genug. Viel wichtiger ist es die Kinder zu fördern, die die Leute sowieso kriegen. Wenn die Kinder gute Bildungschancen haben, dann klappts auch mit den Renten.
Die Idee, Kinderlosigkeit zu bestrafen ist nur der neueste Versuch, die Wirklichkeit dazu zu zwingen, sich dem konservativen Phantasieweltbild unterzuordnen (ein weiteres hervorstechendes Beispiel ist die „Herdprämie“, mit der Kinder aus den Kindergärten und Mütter aus dem Arbeitsleben herausgehalten werden sollen), und sie ist genauso falsch wie alle vorangehenden Versuche.
Natürlich sind sinkende Geburtsraten ein gesamtgesellschaftliches Problem, und die Gesellschaft sollte deshalb darauf achten, der persönlichen Entscheidung für Kinder möglichst wenig Hindernisse in den Weg zu stellen. Dazu können und sollten m.E. durchaus finanzielle Entlastungen für Menschen mit Kindern zählen. Vor allem sollte auch innerstädtisch an einer kinderkompatiblem Infrastruktur gearbeitet werden, damit die Entscheidung für Kinder nicht automatisch eine Entscheidung gegen ein berufliches Weiterkommen und gegen einen urbanen Lebensstil bedeutet.
Aber das sind ja nur die Rahmenbedingungen: Kriegen müssen die Leute die Kinder dann schon von sich aus. Und dass sie das nicht in ausreichender Zahl tun, hat vermutlich nicht nur (vielleicht nicht mal vorrangig) mit den Rahmenbedingungen zu tun, denn politische Veränderungen an diesen Rahmenbedingungen scheinen mir bisher wenig an der Geburtenrate verändert zu haben.
Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade heute, also nachdem ich den Artikel geschrieben habe, habe ich von deiner Studie zum Elterngeld gelesen. Demnach hat das Elterngeld nicht die Geburtenrate erhöht, aber es Müttern erleichtert, wieder in den Job zurückzufinden. Das ist meines Erachtens ein großer Erfolg.
Und was das „Kinder in ausreichender Zahl“ betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob eine Steigerung der Geburtenrate tatsächlich notwendig ist. Sie ist notwendig zur Aufrechterhaltung des aktuellen Rentensystems. Aber was ist wichtiger? Die Menschen oder das Rentensystem? Wenn sich die Bevölkerungsstruktur ändert, werden wir das System halt anpassen müssen.
Der Satz „Kinder kriegen die Leute sowieso“ sagt implizit, dass es eben keine Entscheidung ist, Kinder zu bekommen. Was „sowieso“ passiert, ist nicht Gegenstand einer „Entscheidung“.
Man muss doch ganz klar sehen: Wenn das Kinderkriegen Gegenstand einer Entscheidung ist, dann kann es gar nicht so viele Kinder geben, wie „gebraucht“ werden. Jedenfalls nicht, wenn man persönlich nicht im Alter von den eigenen Kindern abhängig ist.
Es geht hier natürlich um die politische Sicht. Es sollte schon eine Entscheidung der Menschen sein, ob sie Kinder bekommen. Aber es sollte meines Erachtens keine politische Entscheidung sein. Die Leute sollten selbst entscheiden dürfen.
Politik darf und soll Menschen dann in ihrer Entscheidung unterstützen. Durch kostenlose Bildung zum Beispiel, oder durch Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung. Aber Politik hat hier keine Vorgaben zu machen.