Die Zielgruppe – Für wen schreibe ich?

In vielen Kursen, Büchern, Ratgebern zum Schreiben findet man den Tipp, sich möglichst klar eine Zielgruppe vorzustellen. Schreiben könne man nur, wenn man eine klare Vorstellung hat, wer die Leserinnen und Leser sind.

Ich habe mich auf der Zugfahrt vom Bloggertreffen in Deidesheim nach Hamburg mit Dierk darüber ausgetauscht. Ist es wirklich nötig, für eine Zielgruppe zu schreiben? Oder schreiben wir eh alle nur für uns selbst? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Vor allem, wenn es sich um einen Blog handelt.

Bei einem Buch ist es wichtig, die Leserschaft von der ersten bis zur letzten Seite zu halten. Man kann es sich im allgemeinen nicht leisten, den Anspruch mitten im Buch zu wechseln. Bei einer Steigerung des Niveaus würde man die Leserinnen und Leser abhängen und bei einer erheblichen Senkung würde man sie langweilen. Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Ein bekanntes Lehrbuch zur allgemeinen Relativitätstheorie führt zwei verschiedene Kurse parallel. Es gibt einen Kurs, der die schwereren Kapitel überspringt und so einen Überblick gewährt, und einen fortgeschrittenen Kurs, der alle Details enthält.

Im Web sieht die Welt aber anders aus. Menschen lesen einem Webauftritt selten von vorne bis hinten durch. Niemand wird meinen Blog Artikel für Artikel in chronologischer Reihenfolge durchlesen. Niemand kann die Quantenwelt.de in einem Zug durchlesen, da es sich um einen vernetzten Text ohne klare Linie handelt. Wie geht man hier mit der Leserschaft um, welche Zielgruppe soll man ansprechen?

Quantenwelt.de finden Leserinnen und Leser hauptsächlich über Suchmaschinen. Sie geben einen Suchbegriff ein und kommen direkt auf die Seite, die sich um diesen Suchbegriff kümmert. Daraus folgen zwei Punkte: Erstens muss jede Seite unabhängig sein. Sie sollte ihre eigene kurze Einleitung haben und schnell zum Thema kommen. Zweitens kann sich das Niveau an das Thema orientieren. Wer den Suchbegriff „Verschränkte Teilchen“ kennt, bringt vermutlich einiges Interesse an Quantenmechanik mit. Wer dagegen „Energie“ sucht, wird eine Erklärung auf Basis von klassischer Physik erwarten. Die Quantenwelt.de ist ein Hypertext, eine Art persönliches Lexikon. Es steckt viel meiner eigenen Weltanschauung und Denkweise drin, aber es bleibt eine Sammlung von Begriffsklärungen.

Etwas anders verhält es sich bei dem Text auf Relativitätsprinzip.info. Hier steckt ein Programm dahinter. Nämlich die Relativitätstheorie auf Basis eines klassischen Verständnisses von Physik zu motivieren. Die einzelnen Seiten bauen aufeinander auf. Auch hier bekomme ich viele Besucher über Suchmaschinen, so dass jede Seite ihre kurze Einleitung bekommt. Ich gehe aber im Prinzip davon aus, dass die Inhalte der vorherigen Seiten jeweils bekannt sind.

Zuletzt frage ich mich, wer eigentlich die Leserinnen und Leser meines Blogs Quantenwelt sind. Einige kommen von den Seiten von Spektrum der Wissenschaft. In den ersten Stunden nach Veröffentlichung erscheint jeder Artikel auf den Spektrum.de Seiten und lockt Menschen an, die sich wohl schwerpunktmäßig für populäre Naturwissenschaft interessieren. Ich könnte meinen Blog also auf die Zielgruppe des typischen Spektrumlesers, der typischen Spektrumleserin ausrichten. Nur habe ich natürlich nur ein Vorurteil aber keine objektive Kenntnis über diese Zielgruppe. Außerdem sind das ja nicht die einzigen, nicht einmal die meisten Leserinnen und Leser.

Ein weiterer Teil der Leserschaft hat meinen Blog über einen Feed-Reader abonniert. Wer sich dafür interessiert, was der Physiker Joachim Schulz zu wissenschaftlichen Themen schreibt, kann den Feed meines Scilogs-Blogs abonnieren. Wer sich außerdem für meine Meinungen interessiert, kann zusätzlich diesen privateren Blog abonnieren.

Seit ich mein Blog aktiv auf Twitter und Facebook bekanntmache, kommen viele Besucher von den sozialen Netzwerken. Hier gibt es die Möglichkeit dass meine Facebook-Friends und meine Twitter-Follower die Artikel heraussuchen können, für die sie sich interessieren, und diese dann ihren Friends und Followern weiterempfehlen. Das ist die herausragende Leistung von sozialen Medien: Sie schaffen dynamische Wege zur Verbreitung von Inhalten.

Es macht gar nichts mehr aus, dass alle meine Artikel unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Meine Genderartikel werden einfach von anderen Menschen weiterempfohlen werden als meine Mathematikartikel. Und wenn ein Artikel mal uninteressant ist, dann empfiehlt sie halt niemand weiter.

Ich bin glücklich über meine Twitter-Follower und freue mich, dass unter ihnen Natur- und GeisteswissenschaftlerInnen, Studierende und Professoren und auch Menschen mit richtigen Jobs sind. Ich sehe die Frage nach der Zielgruppe entspannt. Nicht ich suche mir meine Leserschaft. Die Leserinnen und Leser finden (hoffentlich) die Texte, für die sie sich interessieren.

Ein Gedanke zu „Die Zielgruppe – Für wen schreibe ich?“

  1. Pingback: schreibstudioblog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

 Zeichen verfügbar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.