Im Sommer haben wir es mal wieder geschafft, unseren Urlaub in der ehemaligen Wahlheimat Schweden zu verbringen. Um die alten Sprachkenntnisse wieder aufleben zu lassen, habe ich nicht nur versucht, mit Einheimischen weitgehend in ihrer Sprache zu sprechen. Ich habe mir auch zwei aktuelle Romane zugelegt, von denen ich den zweiten jetzt gelesen habe.
Fallvatten von Mikael Niemi ist ein Katastrophenroman. In einem ungewöhnlich regenreichen Herbst bricht in Lappland, nicht weit von der norwegischen Grenze der Suorvadammen und löst eine Überschwemmung aus. Auf ihrem mehr als dreihundert Kilometer langen Weg in den Bottnischen Meerbusen zerstört eine gewaltige Wasserfront alles, was sich an den Ufern des Stora Lulevatten, der Stora Luleälven und am weiteren Verlauf der Luleälven befindet. Die Orte Porjus, Boden und Luleå, zahlreiche Ferien- und Freizeithäuser an den Küsten, sowie all die malerischen Strände entlang der Älven.
Ja, es braucht keine Atomhavarie, auch ein Unfall mit Wasserkraft könnte tausende Todesopfer in einem uns (mir zumindest) nahestehenden Land fordern. Mikael Niemi macht aber nicht den Versuch, die unfassbare Zahl von Opfern anschaulich zu machen. Wahrscheinlich ist das für Menschen gar nicht fassbar. Wie in vielen Katastrophenschilderungen üblich, personalisiert er das Unglück. Er bringt uns eine Hand voll Menschen nahe, die die Katastrophe aus ihrer Perspektive wahrnehmen. Mit all ihren menschlichen Beurteilungen und Fehleinschätzungen.
Da gibt es den Hubschrauberpiloten mit Selbstmordabsicht, der zum verzweifelten Lebensretter wird, dabei aber viel Unglück ansehen muss, das er nicht verhindern kann. Die ausgebrannte Lehrerin, die von der Katastrophe bei einem Malkurs am Stand überrascht wird und die mit Glück und Mut sich und beinahe einen anderen Malkursteilnehmer retten kann. Oder der Saabfahrer für den sein geliebtes Auto zur Arche in der Sintflut wird.
Auch einen Antihelden gibt es, der in der Katastrophe nicht im positiven Sinne über sich hinauswächst, sondern die Situation ausnutzt um Macht auszuleben. Hier ist eine Inhaltswarnung angebracht: Niemi schildert nicht nur Verletzungen ungeschönt, auch sexualisierte Gewalt und Mord wird unverschlüsselt und aus der selbstgerechten, rechtfertigenden Perspektive des Täters geschildert.
Niemi erzeugt eine unmittelbare Spannung durch recht kurze Kapitel, die von einer Person zur anderen springen. So entwickeln sich die verschiedenen Erzählstränge parallel. Dennoch nimmt er sich die Zeit, in Rückblendungen Einblicke in die norrländische Lebensrealität zwischen samischer Tradition und eher schwedisch geprägtem Stadtleben zu geben.
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, mich aber auch – wegen des recht negativen Menschenbilds – etwas deprimiert zurückgelassen.